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Auf der Suche nach dem perfekten Bild
Er ist Bildhauer, Zeichner, Maler und Organisator: Der Trierer Künstler Sebastian Böhm im Porträt
Ein Leben für und mit der Kunst: Sebastian Böhm spricht über seine Arbeit, seine Vorbilder und erklärt, wann er Angst um ein Bild hat. Ein Besuch in seinem Atelier in Trier.
An seinen Hörnchen beist man sich die Zähne aus. Auch sein Baguette, obwohl bereits in mundgerechte Stücke geschnitten, würde einen Hungrigen nicht sättigen. Das gilt auch für seine Donuts, obwohl einer von ihnen unübersehbare Bissspuren aufweist. Die Backwerke von Sebastian Böhm sind aus Basalt, Tuffstein oder Totholz und liegen nicht auf einem Teller, sondern auf der Wiese – genauer gesagt, auf dem Gelände des Friedrich-Spee-Gymnasiums. Die kompakten Kunstwerke, etwa so groß wie LKW-Reifen, „fordern das Sitzen, aber auch das Besteigen, Springen und Toben regelrecht ein“, schreibt der Bildhauer, Maler und Objektkünstler. Sebastian Böhm ist „artist in residence" des Trierer Spee- Gymnasiums – einmalig nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern bundesweit. Und in seinem Atelier wirkt er nicht allein, sondern mit einer ganzen Reihe von Schülern, die er anleitet, selbst Kunst zu machen.
Es sei kein traditioneller Kunstunterricht, wie die meisten ihn aus ihrer Schulzeit kennen, erläutert Böhm. Jeder Schüler ist aufgefordert, sein eigenes künstlerisches Potenzial zu entdecken und zu nutzen. Das kann mitunter recht ungewöhnliche Formen annehmen. Sebastian Böhm erzählt von einem Schüler, der sein Atelier betreten habe mit den Worten: „Heute habe ich Lust, etwas zu zerstören.“ Worauf Böhm den überraschten Jungen genau dazu aufforderte. Schließlich liege auch im Zerstörerischen eine künstlerische Aussage. Genau genommen müsse man ja auch einen Marmorblock „zerstören“, um ein Kunstwerk „freizulegen“ beziehungsweise herauszuschlagen.
Mit seinen Kursen bringt er die Freiheit in die Schule und sorgt dort für Selbstwirksamkeit. So ungewöhnlich dieser pädagogische Ansatz ist – wobei Sebastian Böhm Wert auf die Feststellung legt, dass er kein „Kunstlehrer“ im herkömmlichen Sinne ist –, so ungewöhnlich ist auch der Werdegang des 1972 geborenen Künstlers. Im Alter von acht Jahren kam er mit seinen Eltern von Berlin nach Lampaden (Landkreis Trier-Saarburg), wohin es den Vater aus beruflichen Gründen verschlagen hatte. Die Provinz hat er nicht als Beengung empfunden, zumal „ich immer machen konnte, was ich wollte“. Die Toleranz der Eltern kam nicht von ungefähr: Sie hatten in Berlin einen antiautoritären Kindergarten gegründet, und natürlich profitierte auch der eigene Filius vom Freigeist jener Jahre. Der dann dazu führte, dass das Abitur Böhms letzte „offizielle“ Prüfung war, die er in seinem Leben absolviert hat. Es stand zwar für ihn fest, dass er Künstler werden wollte – aber Lust auf einen Akademiebesuch verspürte er nicht und verzichtete folgerichtig auch darauf. Womit er sich den Weg in den (inter)nationalen Kunstbetrieb nicht gerade leicht gemacht hat: "Natürlich weiß man ja von vornherein, wie schwierig es ist, als Künstler von seiner Kunst leben zu können. Und wenn man diese Idee individuell verfolgt, wird es noch mal um einiges komplizierter." Wie kommt man denn überhaupt in den Kunstbetrieb, wenn man jede akademische Lehrzeit von vornherein kategorisch ausschließt und sich damit auch der Gelegenheit beraubt, Netzwerke aufzubauen? „Zu Anfang habe ich mein Geld woanders verdient. Ich habe zwölf Jahre in einer Kneipe gearbeitet – im ‚Schwach und Sinn‘ in Trier-Nord.“ (...) Nebenbei hat er gemalt und auch Arbeiten verkauft, aber "die Erlöse haben gerade gereicht, um die Kosten zu decken". Selbst heute noch sind die diversen Dozenten- und Kuratorentätigkeiten das Standbein, das ihm Freiräume für seine künstlerische Tätigkeit schafft. Er kuratierte zum Beispiel für Trier den Robert Schuman-Kunstpreis 2018, für den er 2013 als Künstler selbst n ominiert war.
Bildhauer, Maler, Zeichner, Objektkunst – wo sieht er seinen Schwerpunkt, in welchem Genre ist er besonders talentiert? "Talentiert bin ich darin, Sachen, die mich interessieren, auszureizen und nicht zufrieden zu sein mit mittelmäßigen Ergebnissen." In erster Linie sieht er sich freilich als Maler – "denn ich bin jemand, der verändern muss." Was bedeutet das konkret? "In der Malerei ist das Ergebnis nie für die Ewigkeit gesetzt", erklärt er. "Man muss im Grunde die Entscheidung treffen, irgendwann aufzuhören. Wenn ich Bildhauer wäre, dann könnte es bei meiner Arbeitsweise dazu führen, dass von dem zu bearbeitenden Block am Ende nur noch Trümmer vor mir liegen. An einem Bild dagegen kann ich unendlich lange weiterarbeiten. Da kann ich beliebig lange etwas hinzufügen und wieder wegnehmen, variieren und verändern. Unter jedem Bild stecken 20 bis 30 andere. Es passiert ständig, dass ich vor einem Gemälde stehe und den Zwang fühle, etwas ändern zu müssen." Und wann ist ein Bild vollendet? Oder zumindest fertig? "Ich glaube, ein Bild ist dann fertig, wenn die Angst überwiegt, das, was man sieht und für gut befindet, zu zerstören. Es kann dabei durchaus passieren, dass nach zwei Jahren die Angst wieder weg ist, weil man die Beziehung zu dem Bild verloren hat und wieder von vorne anfängt." Er erzählt eine Anekdote aus dem Leben Paul Cezannes, der zu den von Böhm sehr geschätzten Künstlern zahlt: "Er hatte ein Porträt von einem Kunsthändler fast vollendet – dachte jedenfalls der Kunsthändler, der Cezanne nach ein paar Monaten aufgefordert hat, endlich fertig zu werden. Es gehe doch nur noch um einen kleinen Fleck an der Hand. Cezanne antwortete darauf, das sei zwar richtig, aber wenn er jetzt an der Hand etwas verändere, müsse er das ganze Bild verändern." Das sei auch der Grund, erklärt Bohm, dass es bei Cezanne zahlreiche Bilder gebe, die nicht zu Ende gebracht worden seien – Gemälde mit "weißen Flecken".
Tizian, Rubens, Rembrandt – das sind die Künstler, die Böhm nennt, wenn man ihn nach seinen Vorbildern fragt. Deren Gemälde studiere er oft und intensiv, wenn er die großen Museen im In- und Ausland besucht. Aber dafür muss er eben auch weite Wege in Kauf nehmen. Vermisst er diesen "Austausch" nicht manchmal in Trier? "Trier ist für mich geeignet, die Insel zu sein. Da merke ich eben nichts von den äußeren Einflüssen. Ich bin zwar Mitglied des Kunstvereins Trier, wo ich mich mit Kollegen austausche. Aber ich schaue nach mir selber", sagt er und schiebt sofort nach: "Selbstüberschätzung gehört zu diesem Beruf. Wie kann man sonst überzeugt sein, dass man künstlerisch etwas zu sagen hat?" Wie die Antwort des Betrachters ausfällt, sei eine ganz andere Sache.
Für Sebastian Böhm, der mit seiner Frau und seinem Sohn sowie einem Adoptivsohn aus Afghanistan fußläufig von seinem Atelier entfernt lebt, ist es das Wichtigste, selbstbestimmt zu bleiben. Es sei zwar schlecht möglich, in Trier ausschließlich vom Verkaufen von Bildern zu leben; trotzdem kommt ein Umzug in eine Stadt mit großer Kunstszene nicht infrage. „Ich sage, ich bin ein guter Maler. Aber in Berlin gibt es Tausend gute Maler.“ Und er bemerkt weiter: „Dank der Malerei habe ich gelernt, dem zu vertrauen, was ich tue, und auch auf das zu vertrauen, was ich nicht tue. In der Kunst ist es genauso wichtig wie im richtigen Leben: bestimmte Sachen zu machen und bestimmte Sachen nicht zu machen. In der Summe führt das dann zu Lebensentscheidungen – zu meinen Entscheidungen."
Hatte er irgendwann das Gefühl: Das ist der Durchbruch, jetzt habe ich mein Ziel erreicht? "Nein. Das wird auch nie passieren. Das wäre so, als wurde man das perfekte Bild malen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es bei jedem Level, das ich erreicht habe, immer noch eine Stufe darüber gibt. Und ich bin überzeugt davon, dass es von Level zu Level besser wird." Er überlegt kurz. "Es ist von Level zu Level immer besser geworden."
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Rainer Nolden, Glanzoll-Magazin, Ausgabe Frühjahr 2018, gekürzt durch Sebastian Böhm
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