|
|
Sebastian Böhm: Brief an einen Freund Ab 1995 verabschiede ich mich in der Malerei von allen abzubildenden Gegenständen und trainiere mir die Assoziation ab. Es entstehen Massen an Bildern aus lasierenden Schichten, in Serien nach Tonwerten mathetisch geordnet. 8 Jahre lang, bis fast kein Kontrast mehr bleibt und alles farbiges Grau wird. Vielleicht war diese Zeit mein Selbststudium. In ein Schulstudium wollte ich nie. Parallel erarbeite ich in dieser Zeit vollplastische Objekte aus Totholz und Acrylkitt und um 1999 Skulpturen aus Leimbindern, für den Innen– und Außenraum. Nachdem ich 2001, auf der Suche nach der Tiefe in der Malerei, versuche einen Bildträger zu hinterleuchten, entstehen erstmal keine Objekte mehr: Ab dann werden große Leinwände gebaut, aus geschlossenen Kästen, bespannt mit ungrundierter, nur geleimter Jute, durch deren Öffnungen zwischen Schuss- und Kettfäden Licht auf eine hochglänzend lackierte Fläche geworfen wird und durch die Malerei wieder zurück. Ich werde als Maler immer mehr zu mir selbst. Formen von nahen und fernen Landschaften und Figuren kehren zurück in die Bilder. Große Objekte werden nur noch im Team für den Außenraum gemacht, bei temporären Installationen: `Klafter´ (über einem Wasserfall), 2001; `Grenzwippe–Balancement frontalier´ (in einem Grenzfluss zwischen Luxemburg und Deutschland), 2007; `Klafter II´ (in der Lahn), 2012 zusammen mit Werner Müller, oder im Zusamenhang mit Kunst-am-Bau, ab 2016. Seit etwa 2007 siegt die Handlungsfähigkeit über meine Konsequenz und es entstehen, forschend und bestimmt, in ständigem Wechsel malerische Arbeiten auf unterschiedlichen, aber immer selber gebauten Bildträgern, mit nach vorne verlagerten Grundierungen als Vor- und Überzeichnungen in Öl und/oder Temperamalerei. Oder Arbeiten, die mit Asphaltlack auf Floatglas Schwarzspiegel erzeugen, oder Mixe aus Tiefdruck und Malerei auf Chromolux-Papier, die den Prozess einer Ätzradierung in das bildnerische Ergebnis transportieren. Kohle und/oder Bleistift-Zeichnungen entstehen auf Kreidegründen auf Nessel, weil ich zu respektlos mit Papier umgehe. Nach dem ersten und zweiten Gemeinschaftsatelier in Trier folgen 150 qm in der Engelstraße, zwischen 2005 und 2010 auch Ateliers mit langen Arbeitsaufenthalten in Dresden. Seit 2007 reichen Sammler und die Arbeit als Dozent an der Europäischen Kunstakademie in Trier aus, um allein Künstler zu sein. Gut wird es ab 2010/2011 mit dem ersten Projekt an einer Hauptschule: Dort wird mir ein Atelier eingerichtet und nach künstlerischer Strategie verlangt, im Kontakt mit Schülern, die bei meinem ersten Besuch mit ihren Stirnen auf den Werkbänken liegen. Nach Ablauf eines Jahres drechseln die Jungen Baseballschläger und bauen Schlagringe aus Sperrholz und Lack, die schwangeren Mädchen malen auf selbstgebauten Leinwänden mit Farbmitteln aus Eitempera ihre schwülstigen Illustrationen von Liebe. Der Bau von Schlagwaffen verursacht Unruhe in der Schule und bei den Sozialarbeitern (die schwülstigen Bilder nicht), ein sonderbarer Junge versteht Marcel Duchamp. Im Wintersemester 2010/11 lädt mich der Fachbereich Pädagogik der Universität Trier ein, ein Seminar zu künstlerischer Strategie zu veranstalten, man spricht von `heilender Wirkung´. Sehr gut wird es dann mit meinem für das Schuljahr 2013/14 eingerichteten Atelier an einem Staatlichen Gymnasium, finanziert durch das Land Rheinland-Pfalz. Von der 5. Klasse bis zur Oberstufe wird dort Atelierarbeit vermittelt, es werden Leinwände gebaut, Grundierung und Tempera hergestellt, Dammar und Terpentinöl gerochen und verbraucht. Es wird gezeichnet, geschrieben und moduliert. Und es wird über die geistigen Grundlagen von Architektur und Kunst verhandelt, vielleicht die Zukunftsvision des Transfers von nicht verschulter, nicht imitierender Kunst an Schulen. Und meine Vision von Kunst als machender Impulskraft für das Leben.
|
Sebastian Böhm in EVBK Künstler spezial: Sebastian Böhm, Oktober 2017
|
|
|
|