Sebastian Böhm
 
 
 

 
Eine Brücke zwischen gestern und heute
Seit 35 Jahren gibt es die Europäische Kunstakademie Trier. Ein guter Grund, auf das Gründungsjahr zurückzublicken und mit "1977", der Jahresausstellung der Dozenten, eine Brücke zwischen damals und heute zu schlagen.

Manch eine war von Anfang an beim Projekt "Europäische Kunstakademie" dabei, wie Ruth Clemens, die in der Ausstellung mit ihrer schwarz-weißen Arbeit beeindruckt. Das vielteilige, mit leidenschaftlicher Geste gemalte Bild mit seiner nuancenreichen Binnenstruktur, in der sich das Weiß kraftvoll aus dem Schwarz befreit, darf gleichermaßen für die bewegte Geschichte der Akademie wie für die Biografie der Künstlerin stehen.
Es ist die große Stärke dieser ausgesprochen gelungenen Schau und ihrer 29 Künstler, dass sie sich weder mit nostalgischem Rückblick noch mit stolzer Bestandsaufnahme begnügt. Die Jubiläumsausstellung der Kunstakademie-Dozenten macht vielmehr Entwicklungen deutlich - die gesellschaftlichen der vergangenen Jahrzehnte ebenso wie die der Künstler selbst. Ein absolut überzeugendes Konzept wie ein notwendiger Umkehrschluss, verbinden und verdichten sich doch im Kunstwerk wie im Künstler Tradition und aktueller Zeitgeist. So erinnert Claus Bachs eindrucksvolle Fotoserie "Weimar" an die dortigen Demonstrationen 1977 und damit an deutsch-deutsche Befindlichkeit. Daneben verbildlichen Harald Mantes Serien "36 Schritte" sinnfällig, wie Positionsveränderungen An- und Aussichten verändern.

Die vielfältige Mischung der Medien - Malerei, Grafik, Bildhauerei, Fotografie und Installation - macht die Ausstellung abwechslungsreich und spiegelt die große Breite des Akademieangebots wider. Dort wird Entwicklung sichtbar. Nicht nur bei Jochen Stenschke, sondern auch bei der Holzbildhauerin Britta Deutsch, die hier mit ungewohnt großen Formaten überrascht, deren schweres, derbes Material sie zu dynamischen, leicht anmutenden "Erinnerungsstücken" formt. Auch Sebastian Böhm geht bei seiner Beschäftigung mit dem Wesen der Farbe einen Schritt weiter und malt gleichsam aus ihr heraus, was an Bildern in ihr steckt.
Christine Henns frühe Zeichnungen verweisen bereits auf ihre feinnervige Beschäftigung mit Strukturen. In Birgit Lords abstrakten Aquarellen ist schon begründet, was die Künstlerin im Laufe ihrer Arbeit verfeinert und vertieft hat. Dass auch Bilder ein Eigenleben haben, zeigt das wunderbare Gemälde von Bernd Petri, das unter dem Eindruck der Baader-Meinhof-Selbstmorde (1977) in Stammheim entstand. Längst hat sich das Bild von seiner düsteren Entstehungsgeschichte abgenabelt. Was bleibt ist ein Bild der Hoffnung, in dessen Azurblau sich transzendente weiße Streifen schieben.
Ein Kleinod ist Wolfgang Rüppels kleinformatige Mischtechnik "Triumph". Eindrucksvoll: Dieter Krülls Zeichnungen. Die faszinierendste Neuentdeckung bleibt Mathias Lanfer und sein bildhauerisches Werk, in dem sich Poesie und Technik zu dynamischen, mal futuristischen, mal organisch anmutenden Raumkörpern verbinden.
Die alten Meister nicht vergessen hat Martine Andernach. Ihre Collagen sind eine Hommage an den Akademiegründer Erich Krämer. Im Übrigen ist die Zeit weitergegangen, wie Bodo Korsigs noch immer reichlich bedrohlich wirkende Guillotine signalisiert. Keine Angst: das Tötungswerkzeug ist nur ein Papiertiger. Das letzte Urteil wurde 1977 vollstreckt.

 
Eva-Maria Reuther: "Eine Brücke zwischen gestern und heute", Trierischer Volksfreund, Kultur, 27. Juli 2012

 
         
04.05.2021 14:58:15 © Sebastian Böhm, 2021